“Kühlschränke nutzen den Afghanen nichts – ohne Strom”

19.December 2010

Helmstedter Ärztin schult junge Kinderärzte in Afghanistan und plädiert für eine grundsätzliche Änderung der Entwicklungspolitik.

Nein Resignation gehört nicht zu ihrem Vokabular. Die pensionierte Kinderärztin Dr. Gudrun Scharifi aus Mariental bei Helmstedt ist nach 26 Jahren humanitärer Hilfe für Afghanistan allerdings tief enttäuscht. Die Politik müsste dringend an den Gegebenheiten des Landes und den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden.

“Was sollen die Afghanen mit Kühlschranken, wenn sie keinen Strom haben und nichts was man in einem Kühlschrank kühlt?”,

spitzt Scharifi das generelle Problem einer falschen Schwerpunktsetzung zu.
Die Ärztin ist vor wenigen Wochen aus Afghanistan zurückgekehrt. Das Land ist ihre zweite Heimat, ihr verstorbener Mann war Afghane. Von 1971 bis 1975 waren sie als Ärzte in Kabul tätig, wo die Familie mit den Kindern lebte.
Gudrun Scharifi gehört zu den Mitbegründern des “Ärztevereins für afghanische Flüchtlinge”, sie sammelt noch immer Spenden; der Verein schickte Container mit medizinischem Gerät und Krankenhausbetten, vor allem Kinderbetten, nach Afghanistan. Scharifi arbeitete immer auch als Kinderärztin in Polikliniken und Flüchtlingslagern. Zur Politik will sie sich eigentlich nicht äußern, aber dann sagt sie:

“Es ist doch bitter, wie wenig man von Afghanistan weiß und wie dieses Land zugleich zum Spielball von Interessen geworden ist. “

Scharifi verweist auf die USA, China, Indien und Pakistan. Das gute Verhältnis zu Deutschland ändere sich. Es gebe zwar eine historisch begründete Freundschaft, aber nach ihrer Beobachtung gilt dies für die jüngere Generation nicht mehr

“. Im Westen werde von Demokratie geredet, aber die Afghanen seien das Leben in Clan-Strukturen gewohnt. ” Traditionen können nicht an Schreibtischen fernab aufgehoben werden.”

Im Übrigen gelte:

Wer ist Taliban, wer nicht? Das ist keineswegs einfach zu beantworten. Die Grenzen sind fließend.”

Scharifi hat bei ihrem jüngsten, vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst finanzierten Aufenthalt junge Kinderärzte in Kabul geschult: “Grundwissen in Kinderheilkunde“. Sie sagt:

“Es ist unsinnig, eine Untersuchung mit dem Ultraschallgerät zu machen, wenn man nicht weiß, wie man einen Bauch abtastet. Gerade in diesen Ländern ist eine gründliche Untersuchung mit Stethoskop, Ohrenspiegel, Spatel und Lampe wichtig. Ein Kind muss zur Untersuchung ausgezogen werden, aber es fehlt an gut eingerichteten Polikliniken, an gut ausgebildeten Schwestern und Pflegern, es fehlt an allem.”

Sie ergänzt:

” Man mag es kaum glauben, wenn eine Universitätskinderklinik, die seit einem Jahr in Betrieb sei, keine zentrale Sauerstoffversorgung hat, eine Neugeborenenstation keinen Wasseranschluss – der in der Zwischenzeit mit unserer Hilfe installiert wurde – und keine Sets für Knochenmarkspunktionen vorhanden sind.”

Scharifi kehrt zum Ausgangspunkt zurück:

Solange zum Beispiel Frauen keine Möglichkeit haben, Geld zu verdienen, können sie sich nicht emanzipieren. Und solange Mädchen nicht als Kinder gegen ihren Willen verheiratet werden, ist die Bildungspolitik irgendwo verfehlt.”

Auch wenn sie vielleicht ein bisschen müde geworden ist, aufgeben kommt für die Ärztin nicht in Frage. Sie will ein praktischen Beitrag leisten, kleine Schritte , die etwas bewirken.

“Vielleicht ist nicht alles umsonst gewesen”,

sagt sie.

Link zum Original PDF Zeitungsartikel, Autor Reinhard Brennecke
Veröffentlicht am 16.10.2010 in der Braunschweiger Zeitung

Artikel gespeichert unter: Allgemein

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